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Portrait vom René
AgentCooper
User ist gel�scht

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# 17.11.2009 - 15:35:40
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René war von Anfang an ein umstrittener DJ, der die Kappelgemeinde stark polarisierte. Für die einen war er der persönliche Retter des Wochenendes, der jeden Musikwunsch erfüllte, die anderen sahen ihn als mürrischen Ignoranten, der unmögliche Übergänge machte. Der souveräne Alleinherrscher des Portraits vergab seine Gunst zumindest sehr willkürlich. Entweder er mochte Dich oder eben nicht. Darauf hatte man selbst keinen Einfluß.
René provozierte besonders uns Platten-Nerds immer wieder gerne mit seiner scheinbar gleichgültigen Haltung gegenüber dem Musikprogramm, indem er vorgab, keine Beziehung zu den Liedern zu haben, die er spielte. Er betonte immer wieder, daß die DJ-Rolle im Portrait für ihn lediglich ein Job sei und daß er privat mit der Musik nichts anfangen konnte.
Damit stieß er uns phonophilen Romantikern natürlich gehörig vor den Kopf. Für uns war das DJ-Amt in Kappel etwas quasi Heiliges, dem man sich mit hoher Kompetenz, vor allem aber mit brennender Leidenschaft und Hingabe als würdig erweisen mußte. Die meisten von uns träumten davon, selbst einmal im Portrait auflegen zu dürfen, deshalb machte uns Renés achselzuckende Teilnahmslosigkeit auch so wütdend. So entstand vielfach die Überzeugung, jemand wie René habe es nicht verdient, im Portrait aufzulegen und fast jeder sechzehnjährige Schnösel mit mehr als fünfzig CDs im Schrank bildete sich ein, es besser machen zu können, als er.
So ließ sich die fettesten Jahre des Schuppens hindurch das merkwürdige Phänomen feststellen, daß sich ein großer Teil des Stammpublikums immer wieder lauthals über die Musik aufregte, aber sich gerade diese Leute Samstag für Samstag treu in Kappel einfanden. Natürlich war ihre Kritik teilweise berechtigt. Innerhalb der Genres konnte René zwar durchaus stimmige Bögen aufbauen, ewig erinnern wird man sich aber an die steilen Brüche, mit denen er die Musikrichtungen wechselte. Legendär sind krasse 180°-Übergänge wie Paradise Lost nach "Jein" oder ein kuscheliges Alanis Morisette Stück nach der House-Runde. René verschnürte seine Musik in klar unterschiedene Blöcke und verzichtete gänzlich auf Bindeglieder, um die Wogen zu glätten. Er blieb bis zum Schluß seinem radikalen Stil treu.

Lange Zeit habe ich René als DJ unterschätzt. Erst jetzt, ein viertel Jahr nach dem Ende des Portraits, erkenne ich langsam, wie einzigartig die Tanzfläche war, die er fast zehn Jahre lang unterhielt. Wie viele meiner Freunde wünschte ich mir oft einen Autoren-DJ, der mit seiner minutiösen Musikauswahl, auf elegante Weise raffinierte Geschichten auf die Tanzfläche zauberte. Ich wünschte mir jemanden, der durch die Reihenfolge der Lieder mit den Tänzern kommunizierte. Ich wollte einen DJ, der so Musik machte, wie ich meine Kassetten aufnehme.

You never know a good thing, until you lose it.
Jetzt, wo ich fast nur noch auf die durchgeplanten Konzept-Parties irgendwelcher Röhrenjeans-Fuzzies gehe, deren intellektuelle Indie-Sets so zerbrechlich und verkopft sind, daß sie auseinander zu fallen drohen, wenn man zu wild darauf tanzt (oder klatscht), weiß ich, daß das alles falsch war.
Das Geheimnis von Renés Musikprogramm war, daß es den Tänzern Luft zum atmen ließ. Er hielt eine eigenartig kühle Distanz zu den einzelnen Tracks und ließ damit den Leuten auf der Tanzfläche - und gerade solchen wirbelwütigen wie mir - Raum, sich zu entfalten. Akkribisch ausgeklügelte Set-Dramaturgien, mit zig Bezügen und augenzwinkernden Anspielungen zwischen den Liedern ersticken den Tänzer, weil er dann dauernd nachdenken muß. Und der Gedanke: "Was wollte uns der DJ mit diesem Übergang sagen?" stört eben einfach auf der Tanzfläche, wenn man alles andere abschalten und auf Lichtgeschwindigkeit kommen möchte.
Die große Leistung, die René erbrachte war, daß er sich als Autor der Musikauswahl durch seinen sachlichen Stil völlig ausblendete und damit die Bühne vollständig für die Tänzer freigab. Renés Musik war hundertprozentig frei von dem Narzißmus, den Leute wie ich sich dämlicher Weise dauernd von Ihrem DJ wünschten. Er überließ die Show komplett uns und zog auf diese Weise auf seiner Provinztanzfläche die grandiosen Rockstars heran, für die der Laden unter anderem auch berühmt wurde.

Ich erinnere mich an René in den letzten Stunden des Portraits. Ein oder zweimal stieg er von der DJ-Kabine runter und stellte sich auf die schwarze Bank zwischen den großen Würfeln, wo die Videos hinprojiziert werden. Er stand ganz reglos da und sah einfach ins Leere. Seinen Blick werde ich niemals vergessen. Vielleicht prüfte er nur den Beamer oder irgend eine akkustische Einstellung. Oder aber er blickte ein letztes Mal auf sein Portrait, um sich eine lebendige Erinnerung zu bewahren.

Ich glaube, René war gar nicht so gleichgültig und nüchtern, wie er uns oft hat glauben lassen wollen. Er hielt sich einfach nur zurück, damit wir uns so richtig austoben konnten.

Danke René.


Alex